Die Lichtübung
Als jemand, der selbst häufig mit Anspannung, innerer Unruhe oder auch Panik zu tun hat, kenne ich dieses überwältigende Körpergefühl nur zu gut. In meinem stationären Klinikaufenthalt habe ich eine Technik kennengelernt, die mir seitdem in vielen Situationen geholfen hat. Manchmal als Beruhigung, oft als eine einfache Ablenkung: die Lichtübung.
Sie gehört zu den sogenannten Imaginationsübungen, um den Körper zu beruhigen und emotionalen Stress zu regulieren.
Inhalt

Was sind Imaginationsübungen?
Imaginationsübungen sind mentale Techniken, bei denen wir bewusst mit inneren Bildern arbeiten. Anstatt sich nur auf den Atem oder auf äußere Reize zu fokussieren, stellen wir uns etwas vor, das Sicherheit oder Ruhe vermitteln soll. So kann man dem Körper signalisieren, dass keine Gefahr besteht, selbst wenn sich innerlich gerade alles angespannt anfühlt.
Der Kern der Imagination ist also das Vorstellen, aber nicht im Sinne von Fantasie oder Traum, sondern als eine gezielte, beruhigende innere Erfahrung. Viele Menschen reagieren sehr stark auf visuelle Vorstellungen: Wenn wir uns Licht, Wärme, Wasser, Geborgenheit oder Schutz vorstellen, löst das messbare körperliche Reaktionen aus, z. B.:
- Muskeln entspannen sich
- der Atem wird tiefer
- der Herzschlag reguliert sich
- belastende Gedanken werden weniger aufdringlich
Unser Gehirn unterscheidet nämlich nicht streng zwischen einem inneren Bild und einem äußeren Reiz. Das macht Imaginationsübungen so wirksam:
Merke
Imaginationsübungen nutzen bewusst vorgestellte innere Bilder – wie Wärme oder Schutz, um dem Nervensystem ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln und dadurch körperliche Stressreaktionen zu reduzieren.
Wann hilft eine Imaginationsübung?
Imaginationsübungen sind besonders dann sinnvoll, wenn innere Anspannung spürbar wird oder der Körper auf Stress reagiert. Sie eignen sich vor allem in Momenten, in denen man schnell etwas braucht, das beruhigt, ohne sich dafür viel vorzubereiten oder äußere Bedingungen unpassend sind.
- bei innerer Unruhe
- bei körperlicher Anspannung
- bei beginnender Panik
- beim Overthinking
- in emotional herausfordernden Momenten
- vor dem Einschlafen
- in belastenden Alltagssituationen
Eine Imaginationsübung ist also immer dann hilfreich, wenn man ein inneres Bild braucht, das schnell Ruhe vermittelt oder die Aufmerksamkeit von unangenehmen Körperempfindungen wegführt. Sie schafft einen kurzen Abstand zur Situation und kann helfen, den Körper wieder in eine ruhigere Grundspannung zu bringen, indem es ihn durch die Bilder ablenkt.
Warum wirken Imaginationsübungen?
Imaginationsübungen entfalten ihre Wirkung, weil sie zentrale neurobiologische und psychologische Mechanismen ansprechen, die direkt mit der Stress- und Emotionsregulation verbunden sind. Durch das bewusste Erzeugen innerer Bilder werden verschiedene Bereiche im Gehirn aktiviert, die Sicherheit, Beruhigung und Körperwahrnehmung steuern.
Wesentliche Wirkmechanismen:
- Aktivierung des parasympathischen NervensystemsBeruhigende Vorstellungen wie Wärme oder Licht fördern die Aktivität des parasympathischen Zweigs des autonomen Nervensystems (insbesondere des Vagusnervs). Also der Teil unseres Nervensystems, der für Erholung zuständig ist. Dadurch werden Herzfrequenz, Atemrhythmus und Muskeltonus reduziert – der Körper fährt aus der Stressreaktion („Fight‑or‑Flight“) herunter.
- Top-down-Regulation im GehirnIn stressigen oder ängstlichen Momenten ist oft die Amygdala aktiv. Sie ist für Gefahrenerkennung, Angst- und Stressreaktionen zuständig. Wenn wir uns innere Bilder vorstellen, wird der präfrontale Cortex stärker aktiv, welcher einen hemmenden Einfluss auf die Amygdala hat. Durch Imagination entsteht also eine Art „kognitive Gegensteuerung“, die die Alarmbereitschaft dämpft.
- Veränderung der inneren Körperwahrnehmung (Interozeption):Die Interozeption beschreibt, wie intensiv wir innere Empfindungen wahrnehmen. Durch die Vorstellung von Wärme oder Licht verändert sich die Wahrnehmung innerer Körperzustände (Interozeption). So werden unangenehme Empfindungen wie Druck oder Herzrasen weniger dominant, was besonders bei Angst und Anspannung hilfreich ist.
- Aufmerksamkeitslenkung („Attentional Shift“)Imaginationsübungen erzeugen einen klaren inneren Fokus. Das reduziert Grübeln und unterbricht das automatische Warnsystem des Gehirns. Dieser bewusste Aufmerksamkeitswechsel wirkt stabilisierend und entlastet das Arbeitsgedächtnis.
- Placebo- und RessourcenaktivierungPositive symbolische Vorstellungen (z. B. Licht, Wärme, Schutz) aktivieren sogenannte innere Ressourcen. Aus psychologischer Sicht handelt es sich um Prozesse der Selbstberuhigung und Kompetenzaktivierung, die ähnlich wirken wie supportive therapeutische Interventionen, die stabilisierend wirken.
Zusammenfassung
Imaginationsübungen wirken, weil sie sowohl auf neurobiologischer Ebene (Stressregulation, Vagusaktivität, Amygdalahemmung) als auch auf psychologischer Ebene (Aufmerksamkeitslenkung, innere Ressourcen, kognitive Regulation) entlastend und stabilisierend eingreifen.
Für wen sind Imaginationsübungen besonders geeignet?
Imaginationsübungen sind grundsätzlich für alle geeignet, sei es zur Ablenkung oder Beruhigung. Man kann sie meist sehr leicht durchführen und von überall anwenden: im Bett, unterwegs, in der Bahn oder in einem Moment, in dem man sich einfach schnell stabilisieren möchte.
Besonders hilfreich sind sie für Menschen, die:
- häufig innere Unruhe oder Angst erleben
- schnell körperlich anspannen, z. B. in Brust, Bauch, Nacken oder Schultern
- sich leicht überfordert fühlen oder zu Grübeln neigen
- psychosomatische Beschwerden haben, die durch Stress verstärkt werden
- Schwierigkeiten haben, über den Atem allein zu beruhigen
- in belastenden Alltagssituationen ein schnelles Werkzeug brauchen
- sehr sensibel auf innere Körperzustände reagieren
Auch Menschen, die schon viele beruhigende Techniken kennen, aber im akuten Moment nicht gut darauf zugreifen können, profitieren oft von Imaginationsübungen, weil sie eine klare und einfache Struktur haben.
Lichtübung – Schritt für Schritt Anleitung
Anbei findest Du die Lichtübung Schritt für Schritt Anleitung. Zusätzlich findest Du ganz unten eine abspielbare Audio, in der du dir die Langversion einer Lichtübung anhören kannst. Ganz viel Spaß damit!
Lichtübung
- 1. Vorbereitung:Such dir einen ruhigen Ort, setz oder leg dich bequem hin und schließe – wenn du möchtest – die Augen.
- 2. Ankommen:Atme ein paar Mal bewusst ein und aus. Lass Schultern, Kiefer und Bauch locker werden.
- 3. Licht entstehen lassen:Stell dir ein warmes, goldenes Licht über dir vor, das langsam auf dich herabsinkt.
- 4. Kopf & Gesicht:Lass das Licht nacheinander Stirn, Augenlider, Schläfen, Wangen und den Kiefer berühren. Jeder Bereich darf etwas weicher werden.
- 5. Nacken & Schultern:Das Licht fließt in deinen Nacken und über deine Schultern. Spür, wie mit jedem Atemzug etwas Anspannung nachlässt.
- 6. Arme & Hände:Lass das Licht über Oberarme, Ellenbogen und Unterarme bis in deine Hände und Finger wandern.
- 7. Brust & Herzraum:Das Licht breitet sich über deinem Brustkorb aus. Dein Atem wird ruhiger und tiefer.
- 8. Bauch & Körpermitte:Das Licht erreicht deinen Bauch und deine Mitte – Bereiche, in denen oft Stress sitzt. Stell dir vor, wie die Wärme sich dort ausbreitet.
- 9. Rücken:Das Licht fließt über deinen oberen Rücken, die Schulterblätter, entlang der Wirbelsäule bis in den unteren Rücken.
- 10. Becken & Beine:Führe das Licht weiter durch Becken, Hüften, Oberschenkel, Knie, Waden, Füße und Zehen.
- 11. Ganzkörpergefühl:Stell dir vor, dein ganzer Körper sei jetzt von diesem warmen, goldenen Licht erfüllt – ruhig, weich und getragen.
- 12. Abschluss:Vertiefe langsam deinen Atem, bewege sanft Finger und Zehen und öffne in deinem eigenen Tempo die Augen.
Vielleicht fühlt sich die Lichtübung am Anfang ungewohnt an. Vielleicht tauchen Zweifel auf. Funktioniert das überhaupt? Mache ich es „richtig“? Aber genau darum geht es nicht. Es geht nicht darum, sofort etwas zu spüren oder ein bestimmtes Ziel zu erreichen.
Es geht darum, dir die Möglichkeit zu geben, etwas auszuprobieren, das dir in diesem Moment guttun kann. Etwas, das ablenkt, beruhigt, und dich wieder ein Stück näher zu dir selbst bringt. Ein Moment für dich – nicht perfekt, aber ehrlich. Und das reicht oft schon.
xx Miki
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